Ein Tag im Todestrakt

eastern_state_penitentiary_cellblock_poster-p228158047012635935tdad_210.jpghalb auf dem rücken und halb auf dem bauch liegend wurde ich wach. so hell wie es war schätzte ich die uhrzeit auf etwa 10:00 uhr. wohl dem keine  stunde schlägt. früher undenkbar an einem ganz ordinären arbeitstag, jetzt alltag;

lediglich an 4 von 7 tagen in der woche zwangen mich termine aus dem bett.  heute war so ein tag: krankengymnastik mit s. um 14:00 uhr. vorher noch duschen und frühstücken. also. raus aus dem bett.

ach ne, noch ein paar viertelstündchen müssen drin sein. aber nicht so – ich liege absolut scheiße. was soll ich machen? nach einem pfleger klingeln? die klingel, die mit einem armband an meinem linken handgelenk befestigt ist, war auf jeden fall zu erreichen. ich entschied mich, mich nicht zu entscheiden und blieb liegen.

Meine Lage aber war immer noch suboptimal, das Bett hatte in der Mitte eine regelrechte Mulde und ich Rückenschmerzen. Matratze und Umbau entsprachen höchsten Pflegestandards, lediglich der Bauart bedingte Federrahmen schwächelte. So war an ein relaxtes Rumflezen im Bett nicht zu denken. Also verändern - aber wie? Von den Beinen bis zur Hüfte lag ich auf dem Rücken, von meinem Oberkörper zeigten nur meine Arme nach links, der restliche Oberkörper sowie mein Gesicht blickten überwiegend nach oben. Ich kannte die Situation schon und wusste, dass mich das Herumdrehen in eine bequeme und vollständige Seitenlage gut 10 min. und einigen Schweiss kosten würde.

Probeweise versuchte ich, meinen Oberkörper nach links zu drehen. Die Muskeln, die noch reagierten, reichten aber nicht aus, um eine warnehmbare Bewegung zu bewerkstelligen.

Ich machte erstmal eine Pause und horchte, was im Haus so los war. Wer hatte Dienst, gab es Besucher, welche ehrenamtlichen Helfer waren heute da? Erstaunlicherweise rührte sich außerhalb meines Zimmers überhaupt nichts; im Haus war es totenstill. Seltsam, denn normalerweise herrschte werktags in den Fluren und der Küche immer geschäftiges Treiben am Morgen.

Zwischendurch versuchte ich, meine Lage mit meinen Armen zu verbessern und mich auf die Seite zu ziehen, aber Fehlanzeige. Brachte nicht wirklich was. Also flüchtete ich und ging gedanklich auf Reisen.

2 Jahre früher, an einem Donnerstag morgen im November.

Ich wurde wach und sprang aus dem Bett, ohne mein Gegenüber aufzuwecken, denn dafür war es noch zu früh. Ein rascher Blick zum Radiowecker zeigte mir, dass ich mit meinem Zeitgefühl richtig lag. Viertel vor 6 war noch Zeit genug. Ich schaltete den Wecker aus und ging ins Bad. Nach einer kurzen Morgentoilette ging ich leise durch den Flur in die Küche.

Ich setzte Kaffee auf, schob 8 Aufbackbrötchen in den Backofen, ging auf die Terrasse und kletterte auf mein Ergomobil. Im Gegensatz zum echten Joggen oder Fahrradfahren konnte ich das morgens in T-Shirt und Unterhose tun, außerdem verband das Teil die positiven Bewegungsabläufe beider Sportarten ohne die Nachteile oder die Gefahren mitzubringen wie Umfallen, Gelenkschäden oder das Treffen anderer Menschen.

Ich genoß die Kühle, den Wind und die Luftfeuchtigkeit. Zusammen mit der Novembertemperatur kaum dazu geeignet, lange in Unterwäsche draussen rumzuturnen, aber für kurze Zeit auszuhalten - und ich fühlte mich lebendig! Ehe meine Füße die einstellige Umgebungstemperatur annahmen, begann ich damit, meinen Körper in Schwung zu bringen. Der täglich wiederkehrende Ablauf der Übungen ließ mir dabei ausreichend Zeit, den Ablauf des Tages grob zu planen.

Zurück im Hier und Jetzt.

Der Gedanke an mein früheres tägliches Training hatte mich motiviert; ich begann damit, mich mit Hilfe aller verbliebenen Muskeln und einigen Tricks auf die Seite zu drehen. Gefühlte 100 min. später hatte ich es auch tatsächlich geschafft. Ganz kurz drängte sich mir die Frage auf, was ich tun werde, wenn das auch nicht mehr klappt. Ich wischte den negativen Gedanken beiseite und belohnte mich erstmal für die Anstrengung und versuchte zu dösen.

Ruhig atmend richtete ich die Sinne aus meinem Zimmer hinaus. Zwischenzeitlich hatte sich da auch was getan, sowohl aus dem Flur wie auch aus der Gemeinschaftsküche drangen deutlich Stimmen. Die in der Küche konnte ich nicht sofort identifizieren, den Telefonierer vor meiner Tür aber zweifelsfrei. Eine Zeitlang lauschte ich dem Gespräch, bis es mir zu unergiebig wurde. Jetzt war ich zu wach zum rumliegen, hatte Appetit auf warme (Aufback-)Brötchen frisch aus dem Ofen und betätigte die Funkklingel an meinem Handgelenk.

Es klopfte und eine Pflegekraft betrat meinen Raum. Glücklicherweise war es jemand, der meinen Verfall miterlebt hatte und ganz genau wusste, wie ich am besten zu handeln war. So saß ich dann auch in weniger als einer Stunde angezogen und frisch geduscht in meinem Relaxsessel und ließ mich rasieren. Der Arbeitsanteil, den ich bis dorthin beisteuerte, bestand lediglich aus dem notwendigen Umsetzen und kurzzeitigem Stehen. Insgesamt würde ich schätzen, nicht länger als 4 min. auf eigenen Füßen gestanden zu haben. Na, immerhin noch 4 Minuten meines Lebens, in denen ich nicht wie ein Mehlsack durch die Gegend geschleppt oder gerollt werden musste. Erstaunlicherweise frustrierte mich das nicht mehr so stark wie noch einige Wochen zuvor, und so saß ich leicht grinsend da, wurde rasiert und freute mich aufs Frühstück.

Das Schöne an einem Hospiz ist das Fehlen fester Essenzeiten sowie der Verfütterung von Mahlzeiten nach festen Essensplänen - morgens und abends. Für das Mittagessen gibt es leider die obligatorische Großküche mit Wochenplänen, viel Kartoffeln, wenig Fantasie, weichem Gemüse und festen Zeiten. So frühstückte ich in der Regel selten vor 11 und ließ das Mittagessen ersatzlos ausfallen.

Als ich fertig mit Frühstücken und Rauchen war, war es viertel nach eins und ich hatte noch eine Dreiviertelstunde, bis meine Krankengymnastin ankam. Zeit zu relaxen und fernzusehen. Die Übungen, die sie mit mir zusammen montags und freitags machte, förderten einerseits meine Beweglichkeit, andererseits war ich danach ziemlich platt. Seit mehr als einem Jahr waren es überwiegend die gleichen Übungen, die wir machten. Zu Beginn habe ich mich noch innerlich darüber lustig gemacht und am Geisteszustand meiner Krankengymnastin gezweifelt; rund 1 Jahr danach gibt es darunter einige Übungen, die mich überfordern. So oder so, sind sie in jedem Fall ein objektiver Gradmesser für meine Fitness - oder besser: für den Verlauf des Raubbaus an meinem Körper.

Ein paar Sitcom-Wiederholungen nach meiner Gymnastik fühlte ich mich wieder so fit, dass ich meine Klingel erreichen konnte. Kaffeezeit. Ich bat um einen Tee und fragte an, ob Kuchen da wäre.

Nachdem ich mich gestärkt hatte, ließ ich mir in meinen Bürostuhl am Tisch helfen, um bis zum Abendessen an meinem Laptop zu arbeiten. Der Sprachcomputer ist zwar nicht schlecht (und eine echte Kommunikationshilfe), lässt sich fast ohne Anstrengung mit den Augen steuern, aber alles, was ich EDV-mäßig brauche, kann er nicht leisten. Emails, DVDs brennen und präzise im Internet navigieren z.B. Das Problem dabei ist nur, dass ich mich nicht mehr allzu lange gerade auf meinem Bürostuhl halten kann.

2 Stunden später hatte ich meine eMails gelesen, 4 geschrieben, das Fernsehprogramm der nächsten Tage gecheckt und 2 SMS geschrieben. Ich stellte noch einen DVD-Brennauftrag zusammen, startete ihn und klingelte.

Nach dem Umsetzen und dem anschließenden Abendessen zappte ich mich durch das Abendprogramm* im Fernsehen, bis ich müde und desillusioniert genug für das Bett war.

Bilanz des Tages: keine Höhen oder Tiefen, keine Highlights oder Disaster, kein Besuch, kein Sturz - lediglich wieder einen Tag rum bekommen und Sauerstoff verbraucht . Trostlos :-(

Verständlich, dass ich mir als Weihnachtsessen original japanischen Fugu wünsche, oder nicht? Der Koch darf auch ruhig ein ambitionierter Frittenwender sein, der noch nie etwas von Fugu gehört hat - geschweige denn, ihn je zubereitet hat.

Allen ein schönes Wochenende und einen schönen 4. Advent,

TONO

 


 

PS: Todestrakt bezieht sich auf das Dasein in meinem Körper, nicht auf das Haus hier.

*) Apropos Fernsehprogramm: während das Programm mittags noch halbwegs erträglich ist, wird es mit fortschreitender Tageszeit immer debiler und gipfelt am Vorabend bei den Privaten in einem Niveau, das so unterirdisch ist, dass es sich nicht mehr mit Worten beschreiben lässt. Wohl dem, der Alternativen hat. Wenn ich nochmal so etwas wie *Bauer Harms versucht, den weltgrößten Misthaufen zu errichten* oder *Hans Hartz bricht den Haferschleimfress-Rekord* sehen müsste, ohne abschalten zu können, dürften alle in meiner Umgebung froh sein, dass Amokläufe eines ALS-Kranken im Allgemeinen unblutig verlaufen.

1 Antwort auf “Ein Tag im Todestrakt”

  1. Britta Sander-Hartrumpf sagt:

    Hallo Tono,es ist zwar schade zu lesen ,dass deine bewegungsmöglichkeiten immer mehr eingeschränkt werden,aber hut ab vor deinen bewegungen im oberstübchen.da ich es selbst immer gehasst habe aufsätze zu schreiben ,bin ich begeistert von der art wie du es schaffst dich selbst zu beobachten und das auch noch so wiederzugeben.herr ruhe, herr fischer ,frau korfsmeyer oder die lehrer die du sonst noch hattest ,hätten freude an dir .
    ich wünsche dir schöne weihnachtstage und vielen lieben besuch

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